Universität Bonn

Institut für Archäologie und Kulturanthropologie

Náhuatl - Aztekisch

Náhuatl gehört zur Nahua-Gruppe der südlichen utoaztekischen Sprachen der mexikanischen Abteilung und ist heute in ost-, west- und zentral-aztekische Sprachen mit ca. 27 Sprachvarianten bzw. Regiolekten aufgeteilt (siehe Abb. 1 im Folgenden).

Die Sprachkurse an der Universität Bonn konzentrieren sich auf das sog. Norteño-Aztekisch, welches charakteristisch für die Bundesstaaten Puebla und Hidalgo sowie den Hauptstadtdistrikt von Mexiko-Stadt ist (mehr hierzu unter Kap. II Náhuatl in Bonn).

I. Allgemeine Einführung

Náhuatl ist eine amerindische Sprache, die der Uto-Aztekischen-Sprachfamilie angehört. Der Ursprung der Bezeichnung Náhuatl [ná-wa-tl] liegt in dem Wort nahua [nawa], dessen Bedeutung „klarer Laut“ oder „Befehl“ ist (siehe Karttunen 1983: 157). Heutzutage wird Náhuatl hauptsächlich in Teilen des Gebietes des sogenannten Districto Federal rund um Mexiko-Stadt sowie in den mexikanischen Staaten Veracruz, Hidalgo, Puebla, Michoacan, Nayarit, Guerro und Oaxaca gesprochen (siehe Abb. 1 im Folgenden).

Innerhalb der Uto-Aztekischen-Sprachfamilie, welche 27 Sprachen vom westlichen Nordamerika bis zum nördlichen Mittelamerika umfasst und die selber noch einmal unterteilt sind in vier nördliche (proto-yuto) und vier südliche (proto-mexicano) Gruppen, gehört das Náhuatl innerhalb der letzteren zur Sprachgruppe der Nahua-Sprachen. Aufgrund regionaler lexikalischer und phonetischer Besonderheiten unterteilt sich diese Nahua-Sprachgruppe wiederum in die Sprachvarianten des Nahua (mit Norteño, Occidental und Oriental), das Pipil in Zentralamerika und das Pochuteco in Oaxaca (siehe Abb. 2).

Abbildung 1: Einordung des Norteño-Aztekisch in die Uto-Aztekische Sprachfamilie
Abbildung 1: Einordung des Norteño-Aztekisch in die Uto-Aztekische Sprachfamilie © E. Knecht
Eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler arbeiten hinter einer Glasfassade und mischen Chemikalien mit Großgeräten.
Abbildung2: Sprachgebiete der mexikanischen Unterfamilie in der uto-Aztekischen Sprachfamilie © E. Knecht

Náhuatl wird nach den Angaben des Staatlichen mexikanischen Statistikamtes (INEGI) von 2009 von rund 1.748.900 Menschen gesprochen und ist somit die meist gesprochene indigene Sprache Mexikos. Im Vergleich zum Zensus aus dem Jahr 2005 - mit 1.376.026 Náhuatl-Sprechern – ist ein Anstieg der Sprecherzahlen zu vermerken, der entweder auf den Erfolg der Sprachförderung zurückzuführen ist oder sich mehr Sprecher zu dieser indigenen Sprache bekennen.

Náhuatl bzw. Aztekisch ist weltweit bekannt aufgrund der Azteken-Herrschaft in Mexiko zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert und aufgrund der Eroberung Mexikos durch die Spanier, die in der Hauptstadt des aztekischen Reiches, Tenochtitlan, 1519 ihren Beginn nahm. Zum Zeitpunkt der spanischen Eroberung beherrschten die Azteken-Herrscher weite Teile des heutigen Mexikos. Enge Beziehungen zum Herrscherhaus in Tenochtitlan, die aztekischen Tributforderungen und der Handel förderten die weite Verbreitung des Náhuatl, so dass Náhuatl im frühen 16. Jahrhundert als eine Art lingua franca im mexikanischen Raum fungiert haben könnte. Aufgrund dieses historischen Hintergrundes wird die Nahuatl-Gruppe im Modell der uto-aztekischen Sprachfamilie gelegentlich auch als „Aztekisch“ oder „Mexikanisch“ bezeichnet.

Heutzutage unterscheidet man das in der frühen Kolonialzeit gesprochene „Klassische Aztekisch“ vom heute gesprochenen modernen Náhuatl. Im Gegensatz zum Klassischen Aztekisch ist das Moderne Aztekisch sehr viel stärker durch spanische Einflüsse geprägt, was unter anderem in der Übernahme von spanischen Termini (Zeitangaben, moderne Begrifflichkeiten) sichtbar wird.

II. Náhuatl in Bonn

Seit 1989 wird Náhuatl kontinuierlich an der Universität Bonn gelehrt, zunächst von Hanns J. Prem, später von Berthold Riese, Stefanie Teufel, Melanie Frühling und seit 2009 von Antje Gunsenheimer.

Der Sprachkurs umfasst insgesamt 3 Semester, wobei die ersten beiden zur Erlangung der Modulabschlussprüfung notwendig sind. Das dritte Semester ist fakultativ. Der Schwerpunkt der Lehre liegt auf der kritischen ethnohistorischen Analyse kolonialzeitlicher Quellen in aztekischer Sprache. Aber auch aktuelle Formen des Náhuatl in Schulmaterialien, Kindersendungen, Musiktexten, Theateraufführungen und Filmproduktionen werden im Sprachunterricht betrachtet, womit heutige Formen der Sprachanwendung und ihre Weiterentwicklung vertraut werden.

Kursaufbau

Der drei-semestrige Sprachkurs gliedert sich in die Einführung grundlegender Grammatikstrukturen mit Erwerb eines ersten Grundwortschatzes und ersten Sprachübungen (1. Semester). Dabei erhalten die Kursteilnehmer ebenfalls einen Überblick über die gängigen Lexika und Grammatiken. Gearbeitet wird mit speziell auf den Unterricht zugeschnittenen Lektionen.

Darauf folgt die Erweiterung der Grammatikkenntnisse zu den Feinheiten und Besonderheiten der aztekischen Sprache (siehe hierzu den Abschnitt zur Sprachstruktur), die anhand der Arbeit mit Texten erlernt werden. Damit verbunden ist eine Einarbeitung in den Bestand kolonialzeitlicher Quellen in aztekischer Sprache und deren Entstehungshintergrund, wie zum Beispiel die historiographischen Arbeiten von Alvarado Tezozomoc (zweite Hälfte 16. Jh., Mexiko-Stadt) und Chimalpahin Quauhtlehuanitzin (16. und frühes 17. Jh., Mexiko-Stadt), frühkoloniale Aufzeichnungen wie die Discursos en Mexicano, u.v.a.m. (2. Semester).

Am Ende des 2. Semesters schließen die Kursteilnehmer den Sprachkurs mit einer Klausur ab.

Sonderthemen im 3. Semester

Das dritte Semester im Sprachkurs dient zum einen der Vertiefung der Náhuatl-Kenntnisse in den Übersetzungsfähigkeiten und in der Sprachanwendung. Zum anderen wählen die Studierenden mit der Dozentin ein gemeinsam zu bearbeitendes Themenfeld aus.

So wurden im SS 2015 frühkoloniale aztekische Autoren und ihre Werke vor dem Hintergrund der neuen sozialen Position indigener Eliten im spanischen Kolonialregime betrachtet. Im Fokus stand die Einbindung indigenen Kulturerbes in neue, am christlich-europäischen Weltbild orientierten Textgenres (z.B. Chroniken, Weltgeschichten und Tagebücher in aztekischer Sprache).

Zudem konnte gemeinsam mit den Studierenden des Aztekisch-Kurses 3 die Themen dieser Náhuatl-Darstellung ausgearbeitet werden. Beteiligt waren Cornelia Friske, Nikolai Kiel, Erika Knecht, Julia Nowakowski, Judith Tillips, Thomas Vonk und als externe Beraterin, Karina Waedt.

Im WS 2016/17 arbeitete sich die Studierendengruppe in aztekische Dichtkunst ein, angefangen bei den Cantares mexicanos aus dem 16. Jahrhundert bis hin zu modernen Werken aus dem späten 20. Jh. Gemeinsam wurde ein Begriffslexikon erstellt. Höhepunkt des Kurses war die Veranstaltung „Cantares mexicanos. Ein Abend mit mexikanischer Gedichtkunst zu Musik und Tanz“ am 17. Mai 2017 an der Universität Bonn. Begleitet von der deutsch-mexikanischen Musikgruppe Cuicatl wurden ausgewählte Gedichte des 16., 17. und 20. Jahrhunderts in aztekischer Sprache vorgetragen, vertont und für das Bonner Publikum ins Deutsche übersetzt.

Codex Florentinus.jpg
Abbildung 3: Ausschnitt aus dem Codex Florentinus: Gruppe aztekischer Musiker und Tänzer © Abteilung Altamerikanistik und Ethnologie

 Im SS 2018 standen jene aztekische Quellen im Mittelpunkt, die die aztekische Sichtweise auf die spanische Eroberung und die Umbruchsituation im 16. Jahrhundert vermitteln wie Codex Aubin, Historia Tolteca-Chichimeca, Codex Florentinus sowie Petitionen und Verwaltungsdokumente aztekischer Elite bzw. Gemeindesprecher (z.B. Schreiben des Stadtrates (cabildo) von Huexotzinco aus dem Jahre 1560) sowie Testamente von Handwerkern aus dem späten 16. Jh.

In den vergangenen Semestern (2020, 2022) widmeten sich die Studierenden im Vertiefungsmodul Amerindische Sprache: Náhuatl der Revitalisierung des Náhuatl mittels moderner Musikformen wie Rap, Rock und folk music. Hierzu führten sie im Rahmen eines studentischen Projektes selbständig Interviews mit Künstlern, Lehrern und Forschern (siehe Kapitel VIII auf dieser Seite).

III. Orthographie und Aussprache

Die Einführung der lateinischen Schrift erfolgte zur Zeit der spanischen Conquista, weshalb die Schreibweise des Nahuatl stark hispanisiert ist. Dies bedeutet, dass für die Verschriftlichung Buchstabenkonstellationen benutzt wurden, die dieselben Laute im Spanischen repräsentierten. Laute, die im Spanischen selbst nicht existieren, wurden bei dieser Hispanisierung weitestgehend ignoriert oder in alternativen Lauten verarbeitet. Diese Handhabung brachte Nachteile mit sich, da somit u.a. der glottale Verschlusslaut1 zunächst unbeachtet blieb, obwohl er sogar von grammatikalischer Bedeutung ist.

Eine Orthographie für das Nahuatl konnte bis heute nicht einheitlich festgelegt werden. Daher kommt es zu starken Differenzen bei der Verschriftlichung, die immer abhängig vom jeweiligen Autor sind (siehe Tabelle 1).

Besonders in der Lehre und in der Forschung bemüht man sich jedoch ein Orthographiesystem zu verwenden, das einheitlich und verständlich ist, wohingegen man v.a. in kolonialzeitlichen Chroniken auf verschiedenste Schreibweisen stößt.

Laut Buchstabe Beispiel im Nahuatl Beispiel im Deutschen Varianten
/a/, /ā/ A Atl „Wasser“ Adler
/e/, /ē/ E Etl „Bohne“ Eber
/i/, /ī/ I Ichpochtli „Mädchen“ Igel J, Y
/o/, /ō/ O Ocelotl „Jaguar“ Oma U
/p/ P Pitzotl „Schwein“ Panther
/t/ T Teotl „Gott“ Tag
/k/

C (vor e, i)

QU (vor e,i)

Coatl „Schlange“
Quetzalli „Feder des Quetzalvogel“
König
/ˀ/ H Ehecatl „Wind“ Theˀater ˀ, oder nicht geschrieben
/ts/ TZ Tzontli „Kopf“ Tzatziki Ç
/tl/ TL Tlahtoani „Herrscher“ -
/tʃ/ CH Chocolatl „Kakaogetränk“ Tschechien
/kw/
CU (Silbenanfang)
UC (Silbenende)
Cuahuitl „Baum“
Teuctli „Herr“
Quark QU
/s/ Z (vor a,o)
C (vor e, i)
Zacatl „Gras“
Centli „Maiskolben“
Straße S, Ç
/ʃ/ X Xihuitl „Jahr“ Schimmel
/m/ M Maitl „Hand“ Maus
/n/ N Nantli „Mutter“ Nase
/l/ L Regengott Tlaloc Lager
/w/
HU(Silbenanfang)/

UH(Silbenende)
Huitzilin „Kolibri“
Cuauhtli „Adler“
wie englisch water U, V, O
/y/ Y Yacatl „Nase“ Jahr

Tabelle 1: nach Frances Karttunen (1992: XXIV)

IV. Sprachstruktur

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Cuauhtlapanga_Malintzin Bild © Abteilung Altamerikanistik und Ethnologie

  • Frances Karttunen (1983): An Analytical Dictionary of Nahuatl. Austin: University of Texas.
  • Metzler Lexikon Sprache (2000): Digitale Bibliothek, Band 34, herausgegeben von Helmut Glück. [Karte zur Sprachverteilung als Vorbild für die hier von Erika Knecht erstellte Grafik]
  • Kaufmann, Terrence (1974): Idiomas de Mesoamerica, herausgegeben vom Ministerio de Educación. Guatemala. [Karte zur Sprachverteilung]
  • Kaufmann, Terence (2001): The history of the Nawa language group from the earliest times to the sixteenth century: some initial results. [online-Publikation]
  • Campbell, Joe R. und Frances Karttunen (1989): Foundation Course in Nahuatl Grammar. Volume I: Text and Exercises. Missoula, MT: University of Montana.
  • Karttunen, Frances (1992): An Analytical Dictionary of Nahuatl. University of Oklahoma Press: Norman.
  • Launey, Michel (2011): An Introduction to Classical Nahuatl. Translated and Adapted by Christopher Mackay. Cambridge, NY: Cambridge University.
  • Chimalpahin Quauhtlehuanitzin, don Domingo de San Antón Muñón (1963 – 1965): Die Relationen Chimalpahin’s zur Geschichte Mexico’s. Herausgegeben von Günter Zimmermann. 2 Bände. Hamburg: Cram, de Gruyter.
  • von Humboldt, Wilhelm (um 1830MS): Mexikanische Grammatik. Handschrift in der Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlaß J.E. Buschmann, Collectanea Linguistica, Folio 103. Transkribiert und im Eigenverlag herausgegeben von Berthold Riese, 1997.
  • Genauere Informationen über die Sprachgebiete des Náhuatl im Speziellen und den amerindischen Sprachen Mexikos im Allgemeinen sind hier zu finden.
  • INEGI / Instituto Nacional de Estadística, Geografía e Informática, siehe: www.inegi.gob.mx

Weitere Informationen folgen

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